Das Experimentieren mit Farbe und Material ist Teil der Kunst von Gudrun Hotte Reif. Foto © Carola Schmitt.

Farbland

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Ein Interview mit Gudrun Hotte-Reif.

Das Atelier von Gudrun Hotte-Reif befindet sich etwas versteckt auf dem Alten Flugplatz in Mainz-Finthen. Konzentriert darauf, um was es hier geht, liegt ein Meer an Farbtuben neben kleinen Töpfen, Schalen, Pinseln, Spachtel, Rakeln und Wasserbechern - scheinbar wahllos - auf einem großen Tisch rechts neben dem Eingang ihres Ateliers. Gegenüber untern dem Fenster stehen ein einzelner Sessel und ein Hockerkasten. Leinwände, Papierbögen und Holzplatten in verschiedenen Größen säumen die Wände des Raums wie ein Rahmen ihre Farbwerke.


Frau Hotte-Reif. Der Schwerpunkt Ihrer Kunst sind Farben. Was begeistert Sie an Farben?


Gudrun Hotte-Reif (GHR): Farben bedeuten für mich Abtauchen in die Welt meiner Gefühle, eine Annäherung an mein Inneres, eine Spiegelung meiner Selbst.

Wie sind Sie zu Ihrer Kunst mit Farbe gekommen? Oder kamen die Farben zu Ihnen?


GHR: Als Jugendliche war ich auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten. Ich besuchte bedeutende Museen wie das Stedelijk Museum in Amsterdam und das Centre Pompidou in Paris. Bei den Werken von Cezanne, Matisse und Picasso empfand ich eine große Begeisterung.

Sie arbeiten auf Leinen, Baumwolle, Pappe, Papier und Holz. Beeinflusst das Material die Farbwahl
?
GHR: Nein, überhaupt nicht. Die Farbwahl entsteht durch eine Stimmung, die beispielsweise beim Fahrradfahren durch die Felder zu meinem Atelier entsteht, durch politische Nachrichten, durch persönliches Bewegtsein oder Erinnerungen - im Grund alles, was mich als Menschen ausmacht. Manchmal möchte ich auch eine neue Farbkombination ausprobieren oder einer ganz rationalen Überlegung folgen, die ich dann mitunter im Moment des Anmischens der Farben wieder über den Haufen werfe, weil eine faszinierende neue Farbe entsteht. Auf grobem Leinen wirkt Farbe anders als auf feinem Leinen, auf Papier anders als auf Holz. Das Experimentieren mit Farbe und Material ist Teil meiner Kunst.

Spielt Nachhaltigkeit bei Ihrer Kunst eine Rolle?

GHR: Ja. Ich achte beispielsweise darauf, eher Seife statt Terpentin zum Reinigen zu verwenden, und ich habe altes Leinen meiner weiblichen Vorfahren zum Bespannen der Keilrahmen entdeckt.

Ihre Gemälde kennen - wie Musik - keine Sprachbarrieren. Das begeistert viele Menschen. Ist Ihnen das wichtig oder entstehen Ihre Gemälde durch etwas Inneres, das nach Außen muss?


GHR: Ich freue mich, wenn ich Menschen mit meiner Malerei berühren kann, wenn meine Bilder etwas auslösen. Auch der Dialog mit den Betrachtenden ist für mich wichtig. Mein Antrieb ist aber in erster Linie, mir näher zu kommen, mich besser zu verstehen, mich immer wieder neu zu entdecken.


Ihr Herz schlägt seit der documenta 5 für die Kunst. Die Ausstellung damals trug den Titel „Befragung der Realität – Bildwelten heute.“ Ist die Realität Teil Ihrer Kunst?

GHR: Immer! Unsere Realität ist ohne unsere Geschichte und Kunstgeschichte nicht denkbar, die sich immer wieder mit Fragen wie „Woher kommen wir? und „Wohin gehen wir?" auseinandersetzt. Die europäische Kunstgeschichte ist eine andere als zum Beispiel die asiatische Kunstgeschichte - mit all ihren Bezügen. Nachdrücklich hat mich der amerikanische abstrakte Expressionismus und das europäische Informel geprägt.

Sie haben Kunst studiert, und dabei Ihr Handwerkszeug erlernt?

GHR: Ende der Siebzigerjahre, Anfang der Achtzigerjahre malte man nicht; man machte Konzeptionelle Kunst! Damals gab es nur ein Klasse für Malerei an der Kunsthochschule in Kassel. Dort war Hyperrealismus angesagt. Während dieser Zeit habe ich Stilleben gemalt und zuhause heimlich mit Acrylharzfarben und Lackfarben abstrakte Werke kreiert, geschüttet, Bilder in der Erde vergraben und mit Tee und Kaffee experimentiert. Ich war aber auch Gasthörerin in der Bildhauerei und schlug dort Ton mit ganzem Körpereinsatz, und arbeitete so groß, wie ich wollte. Natürlich habe ich durch mein Lehramtsstudium Werkstätten wie Druckgrafik, Keramik, und viele weitere durchlaufen.


Mit einem Bildtitel gibt man mitunter Persönliches preis. Braucht (Ihre) Kunst Titel?

GHR: Ich brauche keine Titel. Ich möchte nicht in eine Richtung lenken oder mit einem Titel Assoziationen wecken. Manchmal kommt aber ein Titel von selbst. Wie bei dem Bild "Hongkong", das in mir selbst eine so starke Erinnerung an das nächtliche Lichtermeer auf der Nathan Road in Kowloon hervorrief.

Sie haben Kunst unterrichtet. Hat das Lehren von Kunst Ihre Werke beeinflusst?

GHR: Eher anders herum. Ich habe mich durch die Schülerinnen und Schüler ausdrücken lassen.

Wie würden Sie Ihre künstlerische Entwicklung beschreiben?

GHR: In den letzten Jahren bin ich mutiger geworden in meiner Malerei. Ich riskiere mehr als früher.

Durch welche Künstler fühlen Sie sich inspiriert?

GHR: Helen Frankenthaler, Lee Krasner, Elaine und Willem de Kooning, und viele weitere wunderbare Künstlerinnen und Künstler.

Was inspiriert Sie darüber hinaus?

GHR: Literatur und Musik.

Haben Sie eine Lieblingsfarbe?

GHR: Spontan kommen mir eher helle als dunkle Farben in den Sinn. Aber letztendlich ist eine Farbe dann die Richtige, wenn sie der Stimmung entspricht.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie eine neue Farb-Tube öffnen?

GHR: In dem Moment, in dem ich die Farbtube öffne, bin ich ganz bei mir, gespannt und aufgeregt auf ein neues Abenteuer!

August 2024 | tp


  • MEHR ÜBER GUDRUN HOTTE-REIF

    • Zwei Semester Kunstgeschichte in Göttingen

    • 1987 Zweites Staatsexamen Kunststudium auf Lehramt an der HBK/Gesamthochschule Kassel

    • 1984 - 1985 Studienaufenthalte in Rom und Perugia

    • 2006/07 Hospitation im Dimbola Museum & Galleries, Isle of Wight, Großbritannien

    • Bis 2020 Lehrtätigkeit im Rheingau

    • Eigenes Atelier in den Layenhof-Ateliers in Mainz-Finthen
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